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Wie entsteht der räumliche Höreindruck (Stereo)?

2025-05-29
   1 Das Konzept der Stereophonie
   Stereophonie ist ein geometrisches Konzept und bezieht sich auf Objekte, die einen Platz im dreidimensionalen Raum einnehmen. Ist Schall auch räumlich? Analog betrachtet, kann die Antwort ja lauten. Denn Schallquellen haben eine konkrete Position im Raum, Schallwellen kommen aus einer bestimmten Richtung, und das menschliche Gehör besitzt die Fähigkeit, die Richtung einer Schallquelle zu bestimmen. Besonders wenn mehrere Schallquellen gleichzeitig aktiv sind, können wir akustisch deren räumliche Verteilung wahrnehmen. Daher kann man sagen, dass Schall „räumlich“ ist. Präziser wäre jedoch: „Der ursprünglich erzeugte Schall ist räumlich.“ Denn wenn Schall aufgenommen, verstärkt und wiedergegeben wird, kann der gesamte Schall aus einem einzigen Lautsprecher kommen – dieser Wiedergabeschall ist dann nicht mehr räumlich. Der ursprüngliche Raumeindruck – besonders das Gefühl für die räumliche Verteilung der Schallquellen – geht verloren. Diese Art der Wiedergabe nennt man „Mono“ (Monophonie). Kann ein Wiedergabesystem den Raumeindruck des Originalschalls zumindest teilweise wiederherstellen, so spricht man von „Stereo“ (Stereophonie). Da der ursprüngliche Schall offensichtlich „räumlich“ ist, bezieht sich der Begriff „Stereophonie“ speziell auf wiedergegebenen Schall, der einen gewissen Raumeindruck (oder Richtungseindruck) vermittelt.
   2 Der binaurale Effekt (Hören mit zwei Ohren)
   Um den Raumeindruck in der Wiedergabe wiederherzustellen, muss man zunächst verstehen, warum das menschliche Gehör Richtungen unterscheiden kann. Forschung zeigt: Hauptsächlich weil wir zwei Ohren haben und nicht nur eines.
   Die Ohren sitzen an den Seiten des Kopfes, sind also räumlich getrennt und durch den Schädel voneinander abgeschirmt. Daher können die Signale, die jedes Ohr erreichen, verschiedene Unterschiede aufweisen. Genau diese Unterschiede ermöglichen es uns, die Position der Schallquelle im Raum zu bestimmen. Die wichtigsten Unterschiede sind:
  (1) Laufzeitdifferenz (Interaural Time Difference, ITD)
   Aufgrund des Abstands zwischen den Ohren erreicht der Schall (außer bei Schallquellen direkt vorne oder hinten) ein Ohr früher als das andere. Ist die Quelle rechts, erreicht der Schall das rechte Ohr zuerst, dann das linke (und umgekehrt). Je weiter die Quelle zur Seite, desto größer die Laufzeitdifferenz. Experimente zeigen: Künstlich erzeugte Laufzeitdifferenzen erzeugen die Illusion einer seitlichen Schallquelle. Ab etwa 0,6 ms scheint der Schall vollständig von einer Seite zu kommen.
  (2) Schalldruckpegeldifferenz (Interaural Level Difference, ILD)
   Obwohl die Ohren nahe beieinander liegen, dämpft der Kopf den Schall auf dem Weg zum abgewandten Ohr. Das näher gelegene Ohr empfängt einen höheren Schalldruckpegel, das abgewandte einen geringeren. Experimentell nachgewiesene maximale Pegeldifferenz: ca. 25 dB.
  (3) Phasendifferenz
   Schall breitet sich als Welle aus, deren Phase sich im Raum ändert (außer bei exakt einer Wellenlänge Abstand). Der Ohrabstand führt zu möglichen Phasenunterschieden der ankommenden Wellen. Das Trommelfell schwingt mit der Schallwelle mit, und dieser Phasenunterschied wird ebenfalls zur Richtungsbestimmung genutzt. Experimente zeigen: Selbst bei gleichem Pegel und gleicher Ankunftszeit an beiden Ohren verändert eine Phasenverschiebung den wahrgenommenen Richtungseindruck erheblich.
  (4) Klangfarbenunterschied (Spektraler Unterschied)
   Trifft Schall von rechts schräg vorne auf den Kopf, muss er Teile des Kopfes umlaufen, um das linke Ohr zu erreichen. Die Beugungsfähigkeit von Wellen hängt vom Verhältnis der Wellenlänge zur Größe des Hindernisses ab. Der Kopfdurchmesser beträgt ca. 20 cm, was der Wellenlänge von etwa 1700 Hz in Luft entspricht. Daher dämpft der Kopf Frequenzanteile oberhalb von etwa 1000 Hz deutlich. Hochfrequente Anteile werden stärker gedämpft als tiefe. Dadurch klingt der Schall am linken Ohr anders als am rechten Ohr. Dieser spektrale Unterschied dient ebenfalls der Richtungsbestimmung, solange die Quelle nicht genau vorne oder hinten liegt.
  (5) Unterschied zwischen Direktschall und reflektiertem Schall
   Neben dem Direktschall erreichen uns auch Reflexionen von Wänden und anderen Hindernissen als sogenannte „Reflexionsschwärme“. Die Unterschiede zwischen Direktschall und diesen später eintreffenden Reflexionen liefern ebenfalls Informationen über die räumliche Verteilung der Schallquelle(n).
  (6) Einfluss der Ohrmuschel (Pinna)
   Die nach vorne gerichtete Ohrmuschel hilft uns, vorn und hinten zu unterscheiden. Ihre komplexe Form erzeugt außerdem frequenzabhängige Filtereffekte („Richtungsfilter“), die ebenfalls Richtungsinformationen liefern.
   Praktisch haben die Pegeldifferenz (ILD), die Laufzeitdifferenz (ITD) und die Phasendifferenz den größten Einfluss auf die Richtungslokalisation, allerdings unter verschiedenen Bedingungen. Grob gesagt: Bei tiefen/mittleren Frequenzen dominiert die Phasendifferenz, bei mittleren/hohen Frequenzen die Pegeldifferenz. Bei impulsartigen Schallereignissen (Knall, Klatschen) ist die Laufzeitdifferenz besonders wichtig. Für die Höhenlokalisation (oben/unten) ist die Ohrmuschel entscheidend. Tatsächlich ist der binaurale Effekt ein komplexer Prozess; unser Hörsystem nutzt alle verfügbaren Informationen zur Bestimmung der Schallrichtung.
   Nebenbei: Das menschliche Gehör hat neben Lautstärke-, Klangfarben- und Richtungswahrnehmung weitere Effekte. Ein für unser Thema wichtiger Effekt ist der „Precedence Effect“ (auch „Haas-Effekt“). Experimente zeigen: Zwei identische Schallsignale, wobei eines verzögert ist und beide kurz nacheinander die Ohren erreichen, werden als ein einziges Ereignis wahrgenommen, solange die Verzögerung unter ca. 30 ms liegt. Man nimmt lediglich Klang- und Lautstärkeänderungen wahr. Bei größeren Verzögerungen ändert sich die Wahrnehmung: Ab etwa 50-60 ms Verzögerung (entspricht einem Wegunterschied von >17 m) nimmt der Hörer zwei getrennte Ereignisse wahr.